Seitdem das Projekt 1985 im europäischen Rat vorgeschlagen wurde, wird sie alljährlich gekürt – die europäische Kulturhauptstadt – und soll dabei deutlich machen: Kultur ist mehr!
Mehr als eine Reihe Veranstaltungen, Präsentationen und Festivals, die einer einmaligen Wiederbelebung der Stadt dienen. Beeinflussen soll der Titel ihre Wahrnehmung bei den zahlreichen internationalen Besuchern, die jährlich in die gekürten Kulturhauptstädte pilgern. Ziel ist eine nachhaltige und positive städtische Entwicklung im Sinne der Erhaltung und Förderung ihrer Kultur.
Neben Mons (Belgien) trägt 2015 das tschechische Pilsen den Titel und entflieht damit dem Schatten seiner großen Nachbarin Prag. Keine Autostunde von der deutsch-tschechischen Grenze entfernt, eignet sich die Kulturhauptstadt perfekt für einen Wochenendkurztrip!
Dreh- und Angelpunkt der Stadt: der Marktplatz
Der Meeting Point der diesjährigen Feierlichkeiten ist der Platz der Republik, der schon seit Beginn das Zentrum Pilsens prägt. Früher zählte er mit seinen stolzen 193 mal 139 Metern zu den größten Marktplätzen in ganz Europa. Heute verbindet er Tradition mit Moderne: Historische Häuser und Gebäude zeugen vom einstigen Reichtum der Stadt, während drei riesige, goldene Brunnen der neuzeitliche Hingucker sind. Mit dem Kaiserhaus, der Pestsäule und Schmuckstücken der Renaissance, wie dem Pilsener Rathaus, wird die wechselreiche Geschichte der Stadt spürbar.
Herzstück des Platzes bildet die St. Bartholomäus Kathedrale. Das gotische Bauwerk ist, genauso wie die Pilsener Madonna im Inneren, ein nationales Kulturdenkmal und zugleich das Wahrzeichen der Stadt. Die Gründung von Pilsen im Jahre 1295 markierte zeitgleich auch die Geburtsstunde der Kirche, bis zu deren Fertigstellung jedoch noch weitere drei Jahrhunderte vergehen sollten. Als Kathedrale darf sich das Bauwerk erst seit 1993 bezeichnen, dem Jahr als Papst Johannes Paul II. Pilsen zum Bistum ernannte.
Wenige Schritte von der Kathedrale entfernt befindet sich ein weiteres Gotteshaus. Die neu renovierte Große Synagoge ist der ganze Stolz der ansässigen, jüdischen Gemeinde und nebenbei die zweitgrößte in ganz Europa. Dank der Umfunktionierung zur Lagerhalle überlebte das romanische Bauwerk das Nazi-Regime und prägt mit seinen zwei backsteinfarbenen Zwiebeltürmen noch heute die Silhouette der Stadt.
Auf den Spuren der Pilsner Bierspezialitäten und dem Pilsener Venedig
Dank Schachbrett-Grundriss kann man das Zentrum der viertgrößten Stadt der Tschechei bequem zu Fuß erkunden. Zur städtischen Brauerei sind es vom Platz der Republik keine zehn Gehminuten. Eine Führung durch die historischen Hallen lohnt sich nicht nur wegen der versprochenen Verköstigung des weit bekannten Gerstensafts. Im Sudhaus lernen die Besucher, wie in traditioneller Methode aus reinem Wasser, Malz und Hefe seit 1842 das Pilsener Bier gebraut und anschließend gelagert und abgefüllt wird.
Vom Brauereimuseum hat man einen direkten Zugang zu den Historischen Kellern der Stadt. Im 20 Kilometer langen Labyrinth aus Gewölben, Gängen und Brunnen befanden sich bereits im Mittelalter Lagerräume oder Werkstätten. Insgesamt 360 Brunnen sorgten damals für die Versorgung der Bürger mit frischem Wasser. Zu Kriegszeiten gewannen die verborgenen Verbindungswege erneut an Bedeutung.
Innerstädtische Parks verbessern Luft und Lebensqualität im urbanen Raum und sind bei Stadtplanern weltweit beliebt. Der Pilsener Parkanlagenring legt sich dabei wie eine grüne Halskette um das Zentrum der westböhmischen Stadt. Bei einem Spaziergang durch die von Blumen und Bänken gezeichneten vier Parks, lernt man außerdem eine Reihe wichtiger Sehenswürdigkeiten kennen. Neben dem Großen Theater kann man direkt vom Park auch die Bibliothek, das Kulturzentrum Bürgerhaus sowie das größte tschechische Wandgemälde bewundern. Der Rundgang endet im Pilsener Venedig.
Tier, Technik oder Architektur – für jeden Geschmack ist etwas dabei.
Architekturliebhaber sollten einen Blick in die Loos-Interieure werfen. Die in den 1930ern von Adolf Loos konzipierten Wohnhäuser überzeugen mit ihrem zeitlosen und modernen Stil und sind heute für die breite Öffentlichkeit zugänglich. Jedes der acht Wohnhäuser erzählt seine eigenen Geschichten über das Leben im Zweiten Weltkrieg und unter der darauffolgenden kommunistischen Regierung.
Dass bei so viel Kultur die Kinder nicht kurz kommen, dafür sorgt der Pilsener Zoo und Botanische Garten. Auf 21 Hektar Fläche bietet er Lebensraum für über 1.300 verschiedene Tierspezies. Neben der artengerechten Haltung setzt er sich für Schutzprogramme rund um den Globus ein. Wenn die Kleinen bei Schneeleoparden, Bären, Geparden oder Panzernashörnern keine großen Augen machen, dann mit Sicherheit bei den ausgestellten Echsen im benachbarten Dinopark. Die lebensgroßen, bewegbaren Dinosaurier sind das Highlight bei den jungen Besuchern.
Staunen und gleichzeitig einiges Lernen können Kinder wie Eltern im Techmania Science Center. In den ehemaligen Škoda-Fabrikhallen werden den Besuchern Naturwissenschaften und Technik mithilfe von spannenden Experimenten und Shows spielerisch näher gebracht. Die moderne Ausstellung punktet mit Attraktionen wie einem 3D Planetarium oder einem interaktiven Globus. Die Škoda Ausstellung würdigt die ursprüngliche Verwendung des Areals.
Text: Eva-Maria Lill